Liao Yiwu: Der Westen und die „gemeinsame Sache mit den Henkern“

Liao Yiwu

„Die Mächtigen, die heute mein Land regieren, haben ein sehr schmutziges, hässliches Herz“. (Liao Yiwu)

Stets habe ich mich gewundert, wenn mal wieder eine deutsche Politikerdelegation mit einem Tross vieler Wirtschaftsvertreter in die Volksrepublik China reiste, wie flink und vordergründig in der Berichterstattung von der  „Anmahnung der Einhaltung der Menscherechte“ geheuchelt wurde. Welcher Art und Umfang die Wirtschaftabschlüsse waren und wer genau mitfuhr, erfuhr der Medienkonsument aber kaum im Detail. China ist nicht irgendein Land, sondern eine Nation, in der in den vergangenen Jahrzehnten Millionen Einwohner durch Krieg, Hunger oder eine politisch angeordnete Kulturrevolution umkamen.

Das 20. Jahrhundert hat bekanntlich viele politische Schlächter und Massenmörder wie Adolf Hitler, Joseph Stalin, Pol Pot, aber auch Mao Tsetung hervorgebracht, und auch einen Präsidenten Nixon mit seinem Komplizen Henry Kissinger, der sogar den Friedensnobelpreis in dieser verkehrten Welt erhielt. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Über die menschenverachtende Politik Chinas, das wir nur noch als rasant wachsende Wirtschaftsmacht wahrnehmen, berichtet seit Jahren der chinesische Autor Liao Yiwu (54). Nach seiner Inhaftierung und Freilassung gelang ihm 2011 die Flucht aus China, seitdem lebt er im Exil in Deutschland. Liao hat in seinem Heimatland Publikationsverbot. Am Sonntag, 14. Oktober 2012, wurde er in Frankfurt mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Er hielt anschließend eine bemerkenswerte Dankesrede, in der er auch die westliche Politik nicht schonte. Hier Auszüge aus seiner Rede:

„ Menschen morden. Das war die Methode, um das Fundament des neuen Staates zu legen. Darüber herrschte eine stillschweigende Übereinkunft von Mao Tsetung bis Deng Xiaoping. Während der großen Hungersnot zwischen 1959 und 1962 verhungerten im ganzen Land beinahe 40 Millionen Menschen.

Kaum begann Mao Tsetung deshalb um seine Macht zu fürchten, blies er zum Kampf gegen reale und irreale Feinde und verpasste dem Volk eine Gehirnwäsche; während der Kulturrevolution zwischen 1966 und 1976 wurden 20 bis 40 Millionen Menschen zu Tode gefoltert; Mao hatte abermals um seinen Thron gefürchtet, also hieß es, noch stärker zum Angriff gegen die Feinde zu blasen und dem Volk noch mehr das Gehirn zu waschen. (…)

Im Juni 1989 sah die Kommunistische Partei ihre Macht erneut in Gefahr und setzte gut 200.000 Soldaten ein, um die Stadt Peking zu massakrieren. (…) Auch ich setze die Tradition des Erinnerns fort. Ich will auf Chinesisch, auf Englisch oder Deutsch meine Aufzeichnungen über die Opfer des Massakers mit der Menschheit teilen; und auch meine Überlegungen bezüglich des Auseinanderbrechens des chinesischen Reiches. Ich weiß nicht, wie viele Jahre es noch dauern wird, bis ich in das Land meiner geliebten Urväter zurückkehren kann. (…)

Weltweit ist man der Ansicht, der wirtschaftliche Aufschwung Chinas werde zwangsläufig politische Reformen nach sich ziehen und aus einer Diktatur eine Demokratie machen. Deshalb wollen jetzt all die Staaten, die dereinst wegen des Tiananmen-Massakers (vom 4. Juni 1989) Sanktionen gegen China verhängten, die ersten sein, die den Henkern die Hand schütteln und mit ihnen Geschäfte machen. Obwohl dieselben Henker noch immer Menschen inhaftieren und umbringen, immer neue Blutflecken zu den alten hinzukommen und neue Gräueltaten die alten armselig aussehen lassen.

Die einfachen Leute, die zwischen Blut und Grausamkeit ihr Dasein fristen müssen, verlieren dabei auch noch den letzten Rest Anstand. Elend und Schamlosigkeit bedingen sich wechselseitig. Sie bestimmen unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Nach dem Tiananmen-Massaker setzte sich die blutige Unterdrückung fort, gegen die Angehörigen der Opfer des Massakers, gegen Qigong-Gruppen, Falun-Gong, die Demokratische Liga Chinas, Beschwerdeführer, enteignete Bauern, Arbeitslose, Anwälte, Untergrundkirchen, Dissidenten, die Opfer des Erdbebens von Sichuan, die Unterzeichner der Charta 08, die Anhänger der Jasminrevolution, Tibeter, Uiguren und Mongolen – die Fälle häufen sich und die Tyrannei geht auf hohem Niveau weiter. (…)

Unter dem Deckmantel des freien Handels machen westliche Konsortien mit den Henkern gemeinsame Sache, häufen Dreck an. Der Einfluss dieses Wertesystems des Drecks, das den Profit über alles stellt, nimmt weltweit überhand. (…)

Immer mehr Chinesen werden feststellen, dass es auch im demokratischen Westen weder Gerechtigkeit noch Gleichheit gibt und auch dort habgierige Funktionäre und andere Profitgeier sich schamlos nach dem Muster: „Dem Sieger gehört die Beute“ verhalten. Und so werden sie bald alle diesem Beispiel folgen, und in einer nicht allzu fernen Zukunft wird es an allen Ecken der Welt voll von chinesischen Betrügern sein, die um jeden Preis ihre Heimat verlassen wollen. (…)

Das Wertesystem des chinesischen Imperiums ist längst in sich kollabiert und wird nur noch vom Profitdenken zusammengehalten. Gleichwohl ist diese üble Fessel des Profits so weitreichend und verschlungen, dass sich die freie Welt der wirtschaftlichen Globalisierung noch ausweglos in ihr verheddern wird. (…)

Im Altertum waren Tibet, Xinjiang, die Mongolei oder Taiwan für China Ausland. Als in der Tang-Dynastie Prinzessin Wencheng nach Tubo, dem damaligen Tibet, verheiratet wurde, war das eine ebensolche Sensation wie die Hochzeit einer jungen Frau aus Schanghai in der Republikzeit mit einem Amerikaner.

Warum müssen sich Tibeter heutzutage immer wieder öffentlich verbrennen? Könnte Tibet einfach ein freies Land sein, das Grenzen mit Sichuan und Yunan teilt, und nicht von einer fernen Diktatur in Peking unterdrückt wird, dann würde niemand aus diesem lebensfrohen Volk des Hochplateaus je einen Grund haben, sich ein solches Leid anzutun. (…)

Dieses Großreich muss auseinanderbrechen, für den Frieden und die Seelenruhe der ganzen Menschheit – und für die Mütter aus dem Tiananmen, für die ich das folgende Lied geschrieben habe.“

Nach seiner Rede trug Liao Yiwu ein Lied vor, das an das Massaker in Peking auf dem Tiananmen-Platz 1989 erinnern soll:

(Übersetzung)

Die Mütter von Tiananmen

Mein Kind

Wie geht es Dir im Paradies?

Das Herz Deiner Mutter

Blüht längst auf offenem Feld.

Verhallt sind die Schüsse, das Blut getrocknet,

Mein Kind Komm schnell aus diesem Traum zurück.

Mein Kind

Friert es Dich im Jenseits?

Dicht fallen die Schneeflocken,

Und färben das Haar Deiner Mutter weiß.

Die Ströme fließen, aber die Tränen sind versiegt.

Mein Kind

Bist Du im Jenseits einsam?

Mutter,

Mit wem sprichst Du dort vor dem Fenster?

Bitte wärme Dein Kind

Mit dem Licht der Laterne.

Endlos ist die Welt der Menschen, zartgrün das Gras auf den Gräbern.

Mutter,

Was nutzt Dein Klagen?“

 

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