Wikipedia-Schreiber wollen der Welt zum Wort „Lügenpresse“ das weismachen: „Seit Beginn des 21. Jahrhunderts wird der Begriff Lügenpresse – zumal in Deutschland – vorrangig von als rechtsextrem und rechtspopulistisch, oder auch als fremdenfeindlich und islamophob bezeichneten Kreisen verwendet, zunächst von Teilen der Hooligan-Szene, bekannter seit 2014 als Parole bei den von Dresden ausgehenden Pegida-Demonstrationen sowie bei Demonstrationen der AfD. Hier ist sie mit Gewaltdrohungen und Gewalt gegen Journalisten eng verbunden. Im Januar 2015 wurde der Begriff von der Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres zum `Unwort des Jahres 2014` gewählt.“
Von wegen „vorrangig rechtsextrem“ und „rechtspopulistisch“ (was immer das auch sein mag): Der renommierte Journalist Eckart Spoo, als Gründer und Herausgeber der Zeitschrift Ossietzky des „Rechtsextremen“ völlig unverdächtig, äußerte sich bereits 2015 zu der Entscheidung der Darmstädter Gedankenpolizei-Redaktion des „Unwort des Jahres“, das Wort auf den Index zu setzen. Hier Eckart Spoo im O-Ton als Transkript seines Video-Beitrags (s.o.):
„Lügenpresse“ – so entschied Anfang 2015 eine fünfköpfige Jury deutscher Sprachkritiker – „Lügenpresse“ sei das „Unwort“ des Jahres 2014. Damit wollten die Fünf erreichen, daß wir dieses Wort nicht mehr verwenden. Wir sollen die Lügenpresse nicht mehr beim Namen nennen. Damit bin ich nicht einverstanden. Ich werde mir dieses wahre, allzu wahre Wort nicht ausreden lassen.
Kurz vorher, Ende 2014, hatte die Wochenzeitung „Die Zeit“ das Ergebnis einer von ihr in Auftrag gegebenen Umfrage bekannt gegeben: 47 Prozent der Befragten waren der Auffassung, daß die Medien einseitig berichten (Beispiel: Ukraine-Krise). Ein interessantes Einzelergebnis: Das Mißtrauen in die Medien nimmt mit der Höhe der Bildungsabschlüsse zu. Also: Gerade die Gebildeteren trauen den Medien am wenigsten.
Auch aus anderen Erhebungen wissen wir, daß das Ansehen der Medien seit Jahren stark gelitten hat. Darüber und über die Gründe und die Folgen für die Demokratie müßte intensiv diskutiert werden. Ein solcher Mißstand läßt sich nicht durch Sprachregelung, nicht durch Totschweigen beheben.
Einseitige Berichterstattung, wie die Teilnehmer der „Zeit“-Umfrage sie beklagten, ist ein schwerer, äußerst schwerer Vorwurf gegen die Medien. Denn wenn sie uns einseitig informieren, hindern sie uns an freier Meinungs- und Willensbildung. Wir können zu keiner richtigen Einschätzung, keinem gerechten Urteil kommen, wenn wir nicht über beide Seiten, auch und gerade über die Gegenseite wahrheitsgemäß informiert werden. Nur so wird Verständigung möglich, Interessenausgleich, friedliche Konfliktlösung.
Aber die Beschäftigten des großen Springer-Konzerns sind ausdrücklich per Arbeitsvertrag zur Einseitigkeit verpflichtet: für das transatlantische Bündnis mit den USA, für die sogenannte soziale Marktwirtschaft. In anderen Medienkonzernen gelten solche Grundsätze unausgesprochen, ohne Vertrag, ohne unterschriebene Selbstverpflichtungen.
Der Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger hat in seinem Buch „Medienmacht“ aufgedeckt, wie die für Außenpolitik zuständigen Redakteure sogenannter Qualitätszeitungen – „Süddeutsche“, „FAZ“, „Welt“ und „Zeit“ – gemeinsam die sogenannte öffentliche Meinung herstellen, immer bellizistisch an der Seite der USA. Die regionalen Monopolzeitungen, die zumeist den großen Multimedia-Konzernen gehören, schwimmen im selben Strom mit. Wie andere Unternehmer sind auch die Verleger interessiert, ihre Ware mit möglichst geringen Kosten zu produzieren. Für Recherche und sorgfältiges Redigieren geben sie ungern Geld aus. Personalabbau vergrößert den Profit, verringert die Qualität. Drastische Stellenstreichungen gehen bis zur Schließung ganzer Redaktionen, in letzter Zeit zum Beispiel in Dortmund, Münster und Mönchengladbach, wo dann jeweils nur ein Lokalblatt übrig geblieben ist.
Alle Monopolblätter verkünden immerzu, daß die Marktwirtschaft mit angeblich freier Konkurrenz, bunter Vielfalt, vielen Wahlmöglichkeiten das beste aller denkbaren gesellschaftlichen Systeme sei. Ein krasser Widerspruch zwischen Ideologie und Wirklichkeit – aber wer stolpert darüber? Und wem wird in Dortmund, Münster oder Mönchengladbach irgendwann einmal auffallen, daß Artikel 27 der nordrhein-westfälischen Verfassung gebietet (ich zitiere): „Unternehmen, die wegen ihrer monopolartigen Stellung besondere Bedeutung haben, sollen in Gemeineigentum überführt werden.“ Daß Zeitungsmonopole besondere Bedeutung haben, wird wohl niemand bestreiten wollen. Meines Erachtens gehören sie in öffentlich-rechtliche Trägerschaft – allerdings nicht nach dem Muster von ARD und ZDF, wo die großen Parteien regieren. Wir brauchen zum Schutz vor Desinformation eine gründliche Medienreform, die vor allem dem einzelnen Journalisten, der einzelnen Journalistin größtmögliche Unabhängigkeit garantiert. Jeder, der den Medien mißtraut, jeder, der sich mit Recht über Einseitigkeiten der Berichterstattung ärgert, sollte sich hier engagieren. Denn: Es gibt keine Demokratie ohne Demokratisierung der Medien.
Der frühere Bundeskanzler und spätere „Zeit“-Herausgeber Helmut Schmidt hat einmal im Bundestag gesagt (8. Wahlperiode, 7. Sitzung): In der Bundesrepublik dürfen „die Journalisten Gottseidank schreiben, was sie für richtig halten, auch wenn es falsch ist. Sie dürfen sogar etwas schreiben, von dem sie wissen, daß es nicht richtig ist. Das soll auch so bleiben.“ (Zitat Ende) Dieser Meinung bin ich nicht. Im Gegenteil. Meiner Meinung nach sollen Journalisten die Wahrheit schreiben. Das ist der berechtigte Anspruch der Leser, der Hörer und Zuschauer an sie. Diesen Anspruch muss das Publikum geltend machen.
Sie könnten einwenden, das Internet biete doch jetzt viele neue Informationsmöglichkeiten; so kehre die publizistische Vielfalt gleichsam automatisch zu uns zurück. Ich warne vor zu großen Hoffnungen, denn ich beobachte mit Sorge, wie Springer und andere Konzerne jetzt Milliardenbeträge aufwenden, um die Herrschaft über das Netz zu erlangen.
Wie „Bild“ und andere Springer-Zeitungen lügen und hetzen, haben Wissenschaftler und Autoren wie namentlich der Reporter Günter Wallraff schon seit Jahrzehnten in vielen Büchern dokumentiert. Beispiel: Griechenland. Als in Athen die faschistischen Generaele herrschten, die sich entsprechend dem NATO-Plan „Prometheus“ an die Macht geputscht hatten, schrieb die Springerpresse sehr freundlich darueber und vermied sorgsam den Begriff Faschismus – ebenso wie jetzt im Fall Ukraine, wo der Putsch im Februar 2014 ohne maßgebliche Beteiligung vom Faschisten nicht hätte gelingen können, wie auch die New York Times nüchtern feststellte.
Ganz anders als den Faschisten damals und heute ergeht es der neuen, demokratisch gewählten griechischen Regierung in Athen. Auf sie und ihre sozialen Reformen antworten tonangebende deutsche Medien mit nacktem Haß. „Tsipras und seine Leute“ seien „judenfeindlich“, behauptet Springers „Welt“ ohne jeden Beleg, um sie in Mißkredit zu bringen, und eine stellvertretende Chefredakteurin des Blattes will uns auf folgende Weise bange machen (ich zitiere): „Hier sind Kräfte am Wirken, die aus der Tiefe von so manchem kommen, auf das besser kein Lichtstrahl des Tages gefallen wäre (…). Hier sind Grobiane am Werk, Halbstarke ohne Manieren (….). Und das Volk hat sie auch noch gewählt.“ Höhnisch schreibt Springers „Bild“-Zeitung über Ministerpräsident Tsipras: „Das Wasser steht ihm bis zum Hals. Schon jetzt – aber erst recht ab Ende des Monats, wenn der warme Regen der Euro-Milliarden aus dem Rest der EU versiegen wird. Wenn die Regierung Renten und Gehälter nicht mehr bezahlen kann. Und die Suppenküchen in Athen noch voller werden.“ Vorher hatte das Blatt seinen Lesern noch vorgelogen, wie üppig die Griechen auf unsere Kosten lebten.
„Der Spiegel“ titelte über Tsipras: „Der Geisterfahrer – Europas Albtraum“. Und in der „Deutschen Welle“ schäumte deren Brüsseler Korrespondentin: „Griechenlands Chaostruppe“, „geltungssüchtige Gernegroß-Gestalten“, „Tsipras und seine Leute ersetzen Vernunft und Realitätssinn durch Unverschämtheit und schlechte Manieren.“ Und wenn Tsipras in London über ein europäisches Konjunkturprogramm verhandeln wolle; sollten die Briten „den Mund halten“, kommandierte die Korrespondentin in einem Ton, den Deutschlands Nachbarn immer schon besonders gern vernommen haben.
Nicht wahr, es ist dringend notwendig, eine Diskussion über die Rolle der Medien in Gang zu setzen. Das Problem ist aber, daß die Verleger und Intendanten und Chefredakteure daran nicht interessiert sind und die Medien, vor allem die privaten Blätter und Sender, für diese Diskussion nicht zur Verfügung stehen.
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Nachtrag: Eckart Spoo verstarb am 15. Dezemeber 2016, kurz vor seinem 80. Geburtstag. Die Todesnachricht wurden von vielen Medien ignoriert.