Dieser Beitrag erschien zuerst hier:
Schwarzbau Umgehungsstraße Bensersiel: Kläger einigt sich mit Stadt – Straße jetzt legal?
Es liest sich wie ein Krimi: Seit 2003 begleitet der Wattenrat Ostfriesland den geplanten und später durchgeführten Bau der Umgehungsstraße in Bensersiel/Stadt Esens in einem damals faktischen und heute gemeldeten europäischen Vogelschutzschutzgebiet (V63, Ostfriesische Seemarschen von Norden bis Esens). Schon damals hatte er vor der Rechtswidrigkeit des Baus öffentlich gewarnt. Zunächst hatte das Land Niedersachsen das „faktische“ Vogelschutzgebiet, das alle fachlichen Kriterien für eine Meldung nach Brüssel erfüllte, aus allein wirtschaftlichen Gründen nicht an die EU-Kommission gemeldet. Das ist ein Verstoß gegen die Natura-2000-Richtlinien. Daraufhin legte der Wattenrat mit einem Fachgutachten erfolgreich Beschwerde bei der EU-Kommission ein, das Gebiet musste nachgemeldet werden.
Der Dortmunder Landeigentümer und erfolgreiche Kläger, auch zunächst zu Unrecht für den Straßenbau enteignet, hatte Kenntnis von den Wattenrat-Unterlagen und klagte in einem Normenkontrollverfahren bis vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig und bekam 2014 mit einem Urteil Recht: Der zugrunde liegende Bebauungsplan Nr. 67 der Stadt Esens sei „rechtsunwirksam“, weil er gegen die EU-Vogelschutzrichtlinie verstoßen habe. pdf: BVerwG_2014_Presse_und_Urteil
Ein erstes Verfahren vor dem OVG Lüneburg hatte der Kläger zunächst verloren, weil der Prozessbevollmächtigte der Stadt Esens, Prof. Dr. Bernhard Stüer, vor dem Gericht unrichtige Aussagen machte und das Bestehen eines faktischen Vogelschutzgebietes verneinte. Prof. Stüer hat inzwischen seine Zulassung als Anwalt verloren, er wurde in einer anderen Rechtssache wegen „Parteiverrats“ rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt.
Schließlich musste Straße für den öffentlichen Verkehr nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg wirksam gesperrt werden, wirksam deshalb, weil die Stadt Esens die Straße zunächst nur halbherzig mit Schildern gesperrt hatte, die oft ignoriert wurden. In der Stadt Esens indes bastelte man unverdrossen weiter an einem neuen Bebauungsplan Nr. 89, um den Straßenbau nachträglich legalisieren zu können. Der Kläger wurde lange nicht entschädigt und kündigte noch vor wenigen Wochen an, nötigenfalls bis zum Europäischen Gerichtshof gegen den neuen B-Plan zu klagen. Eine Klageschrift wurde im September 2019 von einer Dortmunder Kanzlei vorbereitet und dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg für ein weiteres Normenkontrollverfahren vorgelegt.
Alles auf null? Gerichtsurteil gilt nach wie vor
Nun ist plötzlich alles anders: Am 30. Oktober 2020 einigten sich der Kläger und der Stadtdirektor von Esens, Harald Hinrichs, mit einem Notarvertrag eines Wittmunder Anwalts. Die Stadt Esens kaufte dem Landeigentümer, der Teilflächen der Umgehungsstraße nach dem Leipziger Urteil besaß, fünf Hektar ab. Der Kläger zieht die Klage gegen den neuen B-Plan Nr. 89 zurück. Mit dem Kauf wurde die Stadt Esens jetzt vollständige Eigentümerin der Straße und geht damit davon aus, die Straße mit dem neuen B-Plan 89 legalisieren und für den Verkehr öffnen zu können. Man ist in der Esenser Verwaltung der irrigen Auffassung, ein Vertrag mache das legal, was immer noch illegal ist: ein Straßenbau in einem europäischen Schutzgebiet. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus 2014 wird damit nicht gegenstandslos. Auch ein neuer Bebauungsplan, der jetzt trickreich die Straßenplanung bei null wieder neu auflegen soll – trotz bereits bestehender illegal gebauter Straße – ist rechtlich nicht zulässig, dazu gibt es bereits Urteile und das sog. „Normwiederholungsverbot“ nach der Verwaltungsgerichtsordnung. Nur fehlt jetzt ein Kläger. Und wo kein Kläger ist, da gibt es bekanntlich auch keinen Richter. Da die Kommunalaufsicht vom Land Niedersachsen bis hinunter zum Landkreis Wittmund der kommunalen Nachsicht gewichen war – die Bezirksregierungen als Kontrollbehörde wurden 2004 in Niedersachsen aufgelöst und die Zuständigkeiten auf den lokalen Klüngel der Landkreise übertragen -, darf man davon ausgehen, dass in Esens weitergewurschelt wird, am lästigen Recht und Gesetz vorbei, Augen zu und durch, weitermachen wie bisher.
„Andauerndes rechtsuntreues Verhalten“ der Stadt Esens
Das Verwaltungsgericht Oldenburg führte 2017 im Urteil gegen die Stadt Esens im Zusammenhang mit der vom Landeigentümer beklagten zunächst unzureichenden minimalistischen Straßensperrung aus: „Angesichts des über Jahre andauernden rechtsuntreuen Verhaltens der Beklagten [=Stadt Esens] ist nicht auszuschließen, dass sie ihr rechtsuntreues Verhalten fortsetzen bzw. bei nächster Gelegenheit wieder aufnehmen wird.“ Wie weitsichtig und wahr.
5,4 Millionen Fördergelder ohne Rechtsgrundlage, ein Fall für den Statsanwalt?
Auch die Bewilligung und Verwendung der 5,4 Millionen Euro Fördermittel (Steuergelder) für den Straßenbau ist ein Skandal. Damals gab es die Auflage, dass die Förderung nur dann bewilligt werden durfte, wenn keine Normenkontrollverfahren anhängig waren. Gegenüber dem Land Niedersachsen hatte die Stadt das anhängige Gerichtserfahren des Landeigentümers und Klägers laut Klageschrift der Dortmunder Kanzlei gegen den damaligen Bebauungsplans Nr.67 verschwiegen und dadurch Fördergelder von 5,4 Millionen Euro beantragt und auch erhalten, obwohl man in der Stadt wusste, dass ihr dieses Geld wegen des anhängigen Normenkontrollverfahrens und der bekannten „planungs- und eigentumsrechtlichen Hindernisse“ nicht zustand. Darüber gibt es ein Protokoll der Stadt Esens vom 06. März 2007.
Durch diese Falschinformation der Stadt wurde erreicht, dass im April 2009 mit dem rechtswidrigen Straßenbau begonnen werden konnte. Hätte ein Gericht einen Subventionsbetrug festgestellt, wäre dies eine Straftat, die mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe geahndet werden könnte, ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Aber auch hier: keine Prüfung durch die Kommunalaufsicht, stattdessen politisches Einvernehmen von Hannover über Wittmund bis nach Esens, vulgo politischer Klüngel und Kumpanei. Niemand wurde bisher für die widerrechtliche Verwendung der Fördergelder qua Amtshaftung zur Verantwortung gezogen. Insgesamt entstand dem Steuerzahler für den rechtswidrigen Straßenbau im Schutzgebiet ein Schaden von ca. neun Millionen Euro, einschließlich der Anwalts- und Gerichtskosten. Das Interesse der Medien an diesem Skandal ist bisher nicht erkennbar.
Was sagen die „anerkannten“ und klagebefugten Naturschutzverbände?
Nun wären eigentlich die zahlreichen „anerkannten“ und damit klagebefugten Naturschutzverbände wie z.B. BUND oder NABU am Zuge, um über die EU-Kommission bis zum Europäischen Gerichtshof die Einhaltung geltenden europäischen Naturschutzrechts in Bensersiel einzufordern. Ob das aber geschehen wird, wird vom Wattenrat bezweifelt. Der NABU-Kreisvorsitzende von Wittmund war Vorsitzender des Bau- und Umweltausschusses der Stadt Esens und stimmte 2003 für den Bau der Umgehungsstraße. Diese Verbände, abhängig von Projektfördergeldern des Landes Niedersachsen, blieben schon beim Repowering des Windparks Utgast direkt am selben Vogelschutzgebiet stumm. Die neuen höheren Anlagen, deren Auswirkungen weit in das Vogelschutzgebiet hineinreichen, wurden zu nah und rechtswidrig ohne ausreichende Erhebungen von vorgeschriebenen Vogel- und Fledermausdaten (behördlich bestätigt NLWKN_Stellungnahme_Utgast) von der Baubehörde des Landkreises im Sinne der Betreiber genehmigt. Auch dort sind die gesetzlichen Grundlagen bekannt. Am rechtsstaatlichen Handeln in diesem Lande sind also berechtigte Zweifel angebracht, nicht nur beim Natur- und Artenschutz.
Link: Juli 2017 –Reloaded: Chronologie der Umgehungsstraße Bensersiel, Teil 2